Auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Robert Müser in Bochum-Werne hat sich ein Startup angesiedelt, das nach dem Niedergang von Opel und dem Ende der Steinkohle-Ära für die Zukunft des Ruhrpotts steht – mit innovativer Technologie, Teamgeist und echter Ruhrpott-Mentalität.
Ingpuls: Mit Ruhrpott-Mentalität auf dem Weg vom Startup zum Tech-Konzern
„Mülheim an der Ruhr. Bochum. Gelsenkirchen“, sagt Christian Großmann und zeigt nacheinander auf sich und seine beiden Gründerkollegen Burkhard Maaß und André Kortmann. „BVB. VfL Bochum. Schalke 04.“
Kurzes Schweigen.
„Wir können eigentlich nur Erfolg haben, wenn wir uns selbst auf dieser Ebene zusammenraufen.“ Gelächter und los geht’s mit einer der erfolgreichsten Gründerstorys der letzten Jahre made in Ruhrpott.
Gegründet im Jahr 2009 stellt die Ingpuls GmbH in ihrer eigenen Bochumer Produktion Teile her, die bereits heute weltweit in sämtlichen Benzinern der Daimler AG verbaut werden. Mehr als zwei Millionen Fahrzeuge wurden seit dem Serienstart Ende 2016 mit dieser Technologie ausgestattet. Die Automobilbranche soll erst der Anfang sein.
Die von den drei Gründern entwickelten und hergestellten Produkte auf Basis von Werkstoffen, die ein Formgedächtnis besitzen, sind weltweit einzigartig und für nahezu jede Industriebranche interessant. Die Pläne zum branchenweiten Rollout liegen längst in der Schublade des Bochumer Startups und warten nur darauf, hervorgeholt und umgesetzt zu werden.
Sich akribisch auf den großen Moment vorbereiten, die richtige Gelegenheit abwarten und dann mit Vollgas umsetzen – mit dieser Strategie sind Großmann, Maaß und Kortmann von Beginn an gut gefahren. Der Grundstein ihres Erfolgs wurde im Mathevorkurs kurz vor dem Start ihres Maschinenbaustudiums an der Ruhr-Uni Bochum gelegt. Dort trafen die drei Gründer 2008 zum ersten Mal aufeinander.
„Unser eigenes Ding“
„Wir waren eine ziemlich krasse Lerngruppe“, erinnert sich Großmann. Zehn Leute waren sie damals, eine eingeschworene Truppe, die sich noch heute regelmäßig trifft. Einige von ihnen wurden Uni-Professoren, andere haben leitende Funktionen in Industrieunternehmen. „Für uns war beides nicht das richtige“, sagt Maaß.
„Wir wollten lieber unser eigenes Ding machen und ein Unternehmen gründen.“ Dass sich dies um Formgedächtnislegierungen (FGL) drehen würde, war ihnen früh klar. Bochum gehört zu den weltweit führenden Forschungsstandorten auf diesem Gebiet.
„Wir haben schnell gemerkt, dass die Industrie sehr interessiert an diesen Werkstoffen ist“, sagt Großmann. Das Besondere an FGL ist, dass sie sich nach einer Verformung unter Einwirkung von Wärme wieder an ihre Ursprungsgestalt zurückerinnern können. Angewendet wurde der Werkstoff bereits seit einigen Jahrzehnten in der Medizintechnik, beispielsweise für die Herstellung von Herzklappen-Stents.
In anderen Industriebereichen gab es allerdings kaum Anwendungen. „So viele Vorteile das Material hat, so hat es auch seine Tücken“, erklärt Maaß. Hier witterten die drei Maschinenbauer ihre Chance.
Nach ihrem Studium schrieben sie sich zur Promotion ein, forschten und entwickelten an den Werkstoffen, die später Fundament ihres Unternehmens sein sollten. Das mussten sie früher gründen als geplant, denn einige Industrieunternehmen bekamen Wind von den Forschungs-Fortschritten und standen bald mit Projektaufträgen für Prototypen auf der Matte.
Der erste Millionenauftrag
[mks_pullquote align=“right“ width=“300″ size=“24″ bg_color=“#1fb6c1″ txt_color=“#ffffff“]“Wir haben unfassbare Sachen entwickelt, die es nie zuvor gegeben hat und die nach Meinung von Fachleuten auch nicht existieren dürften.“[/mks_pullquote]So entwickelten die drei Gründer mit jedem neuen Projekt immer leistungsfähigere Legierungen aus denen Drähte, Federn oder Bleche mit ganz neuen Eigenschaften entstanden. Für die Produktion durften sie gegen Gebühr die Maschinen der Uni nutzen.
„In der Zeit haben wir unfassbare Sachen entwickelt, die es nie zuvor gegeben hat und die nach Meinung von Fachleuten auch nicht existieren dürften“, sagt Großmann. „Wir haben einfach mit Konventionen gebrochen und uns zur Prämisse gemacht, nicht zu akzeptieren, dass etwas nicht möglich ist, wenn nicht erklärt wurde, warum.“
Dass früher oder später der erste Großauftrag ins Haus flattern würde, das war den Dreien schon früh klar. 2014 war es dann soweit.
Ein Automobilzulieferer benötigte eine Feder für ein Ventil, das den Kühlkreislauf von Daimler-Benzinern regulieren soll. Die drei entwickelten die Komponente, sie bestand den Dauertest und plötzlich war der Millionenauftrag da.
„Da haben wir den Plan für den Aufbau unserer Produktion aus der Schublade geholt“, sagt Großmann. Was erst einmal unspektakulär klingt, wurde zu einer Achterbahnfahrt für das Gründertrio und sein damals noch 15-köpfiges Team.
Genau 14 Monate Zeit hatten sie für den Aufbau ihrer Produktion – von der Vertragsunterzeichnung bis zum Serienstart bei Daimler. „Für jemanden, der noch nie eine Produktion geleitet hat, war das eigentlich unmöglich“, sagt Burkhard. Das Team packte es trotzdem an.
Nachdem Großmann, Maaß und Kortmann ihre Hausbanken überzeugen konnten, ihnen Kredite in Millionenhöhe zu gewähren, konnten sie mit der Umsetzung ihres Produktionsplans beginnen. In der Nähe ihres Bürogebäudes fanden sie eine passende Halle für die benötigten Maschinen. Die meisten davon mussten speziell hergestellt werden.
Der Zeitplan war zwar mehr als sportlich, doch wie immer hatten die drei alles gut vorbereitet. „Dachten wir“, sagt Großmann. Zwei Maschinen – eine am Anfang der Produktionskette und eine am Ende – machten ihren Zeitplan zunichte. „Die eine Maschine zerlegte sich selbst und die andere konnte gar nichts“, sagt Maaß nüchtern.
Echte Ruhrpott-Mentalität
Was die Maschinen zunächst nicht leisten konnten, musste mit Handarbeit erledigt werden. Dazu rekrutierten die Drei alle Leute, die sie bekommen konnten. Familie, Freunde, Nachbarn, alle packten mit an. Fachkräfte holten sie sich vor allem aus der Transfergesellschaft vom Opel-Konzern, der kurz zuvor dichtgemacht hatte.
[mks_pullquote align=“left“ width=“300″ size=“24″ bg_color=“#84dd44″ txt_color=“#ffffff“]„Das war eine ganz heiße Phase, in der viele im Team sicher körperlich und mental an Ihre absoluten Grenzen gingen.“[/mks_pullquote]„Wir mussten anfangs stündlich Leute mit einer Handvoll Teile im ICE zu Daimler schicken, damit die Produktion nicht ins Stocken kam“, schildert Großmann den wahnwitzigen Start ihrer Produktionslaufbahn. Das Team arbeitete Tag und Nacht für mehrere Wochen. „Das war eine ganz heiße Phase, in der viele im Team sicher körperlich und mental an Ihre absoluten Grenzen gingen.“
Doch die Mitarbeiter zeigten echte Ruhrpott-Mentalität und zogen durch. Auch dann, als kurze Zeit später mit der Diesel-Affäre und der steigenden Nachfrage nach Benzinern ein weiterer Produktionsanstieg dem kompletten Team erneut alles abverlangte.
Nach der hektischen Aufbauphase läuft die Produktionslinie inzwischen in geordneten Bahnen. Von Stillstand kann allerdings keine Rede sein. Die drei Gründer planen bereits an ihrem zweiten Werk.
„Jetzt, wo die Produktion läuft, kommen die Folgeaufträge“, sagt Großmann „14 Millionen Fahrzeuge dürfen wir bereits nach heutigem Stand bis zum Jahr 2030 ausstatten, und uns liegen schon jetzt Anfragen über mehr als 100 Millionen weitere Komponenten vor.“
Arsch hochkriegen, Vollgas geben
Bei der Automobilbranche wird es nicht bleiben. Auch andere Industriebereiche wollen FGL einsetzen. „Wir sind also in gewisser Weise zum Wachstum verdammt“, sagt Großmann. Dies wollen die drei Jungunternehmer möglichst kontrolliert angehen und sind dabei, die nötigen Strukturen aufzubauen.
[mks_pullquote align=“right“ width=“300″ size=“24″ bg_color=“#e88235″ txt_color=“#ffffff“]„Wir wollen keinen Exit. Wir haben die Verantwortung und die Verpflichtung, das hier durchzuziehen.“[/mks_pullquote]Um das auch finanziell stemmen zu können, haben sich zwei Gesellschafter eines mittelständischen Feder-Herstellers mit einem achtstelligen Investment an Ingpuls beteiligt, ohne dass die drei Gründer ihre Anteilsmehrheit und damit die Kontrolle abgeben müssen.
„Wir wollen keinen Exit. Wir haben die Verantwortung und die Verpflichtung, das hier durchzuziehen“, sagt Großmann. „Wie wollen wir es denn sonst machen hier im Ruhrgebiet? Wollen wir unsere Zukunft in die Hände von fremden Leuten legen, so wie es bei Opel war? Oder wollen wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen? Dann müssen wir den Arsch hochkriegen und Vollgas geben. Das ist das, was wir bei Ingpuls machen.“
Fotos: Frank-Lothar Lange
Die Story erschien zuerst in MAG|NET #5, Konnektor und urbanes Magazin für die Kultur- und Startup-Szene und alle, die Bock haben, im Ruhrpott was zu bewegen.
MAG|NET entsteht im Kabü, dem Coworking-Café im Essener Szene-Viertel Rüttenscheid, erscheint vierteljährlich und liegt kostenlos an ausgewählten Orten im Ruhrgebiet aus. PDF-Ausgaben der Magazine bekommt Ihr hier.
[…] Geschichte von Ingpuls, die smarte Drähte herstellen, ist einfach spannend. Der Weg zum funktionierenden Unternehmen und […]