Selbstorganisation ist ja so eins der New Work-Buzzwords, die gerade schwer im Trend sind, wenn es um moderne Unternehmensführung geht.
Aber was bedeutet Selbstorganisation in der Praxis?
Darüber spreche ich mit Yves Michaelis, einem der Geschäftsführer des Born Gesundheitsnetzwerkes. Das Pflegeunternehmen mit Hauptsitz in Dortmund ist mit über 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterneins der größten Gesundheitsnetzwerke in Deutschland.
Hört Euch hier das ganze Interview an.
Yves Michaelis über Selbstorganisation, Lernschleifen und die Bereitschaft zu vertrauen
Vor einigen Jahren sind Yves und seine beiden Kolleg*innen aus der Geschäftsführung daran gegangen, in Sachen Führung und Organisation neue Wege zu gehen.
Grund dafür war das in der Pflegebranche bekannte Problem der hohen Fluktuation bei den Fachkräften und des hohen Krankenstandes.
Seit 2010 war das Team bei Born innerhalb von nur zwei Jahren 14 Pflegekräften auf 200 gewachsen. Was das Führungsteam stutzig machte, war, dass innerhalb dieser kurzen Zeit nicht nur rund 170 neue Mitarbeiter*innen ins Unternehmen kamen, sondern fast genauso viele das Unternehmen wieder verließen.
„Die Fluktuation war riesig, aber auch die AU-Quote war hoch, beschreibt Yves das Problem. Übrigens keins, mit dem Born allein da stand. Wie Yves durch Gespräche im Netzwerk herausfand sind hohe Fluktuation und AU-Quote Normalzustand in der Pflegebranche.
Das wollte das Führungstrio bei Born aber so nicht hinnehmen, sondern der Sache auf den Grund gehen.
Selbstorganisation: Ganz viel Führung ohne Führungskraft
Der erste Schritt dahin war ein Diagnose-Workshop bei Unternehmensberater und Coach Dr. Georg Sutter, dem ehemaligen Personalvorstand des Arcandor-Konzerns.
Überraschendes Ergebnis der Diagnose: Die Pflegekräfte bei Born sind hochmotiviert, fachlich top und intrinsisch gut unterwegs. Das, was sie hemmt und ausbremst, sind die drei Geschäftsführer selbst.
Damit ging 2013 für das Unternehmen einen Transformationsprozess in Gang, der inzwischen viel in Sachen Führung und Organisation bewegt hat.
Ein Meilenstein dabei ist ein Pflegeteam innerhalt Yves Verantwortungsbereich der außerklinischen Intensivpflege, das sich ganz ohne Führungskraft selbst organisiert.
Im Interview schildert Yves ausführlich den Transformationsprozess hin zu selbstorganisierten Teams – mit allen Aufs und Abs, Lernschleifen und Erfahrungen.
Hier Yves Erfahrung, was Selbstorganisation bedeutet:
Key Takeaways vom Interview mit Yves Michaelis
- Warum die Arbeit der Führungskräfte an sich selbst essentiell für den Transformationsprozess ist
- Was Yves dabei über sich selbst gelernt hat und wie er mit zwischenzeitlichen Selbstzweifeln umgegangen ist
- Warum Leitbilder in der Theorie nichts bringen
- Worin der Unterschied besteht zwischen Selbstorganisation und sich selbst überlassen
- Warum Mitarbeiter*innen unterschiedlich lang benötigen, um sich auf die Transformation einzulassen und wie man im Team damit umgeht
- Warum die Bereitschaft, viele Methoden auszuprobieren und Fehler zu machen, so wichtig ist
- Woran das erste Experiment mit einem selbstorganisierten Team ohne Führungskraft gescheitert ist
- Worin die Herausforderungen von Selbstorganisation liegen
- Warum die Auseinandersetzung untereinander entscheidend für den Erfolg von selbstorganisierten Teams ist
- Wie Führungskräfte lernen müssen, Verantwortung abzugeben und zu vertrauen
Lieblingszitate
„Selbstorganisation heißt, es muss unglaublich viel organisiert werden. Selbstorganisation heißt nicht, dass es keine Führung gibt. Es gibt keine Führungskraft. Aber das Thema Führung brauchst du unbedingt, das muss diskutiert und geklärt werden: Wer kümmert sich um was.“
„Selbstorganisation ist nie fertig, Selbstorganisation wird nie erreicht. Der Prozess ist das Ziel.“
„Die Beziehungsebene ist das Entscheidende. Beziehungsebene geht nur durch Auseinandersetzung. Vertrauen ist eins der Merkmale, das ich nicht einfordern kann. Das ist ein Geschenk meines Gegenübers.“
„Gute Führungskräfte sind solche, denen es gelingt zu sagen: Ich ermutige und ermächtige mein Gegenüber in die Selbstwirksamkeit zu kommen.“
„Was braucht es, damit Selbstorganisation funktionieren kann? Erst in zweiter Linie sind es Interventionen, erst in zweiter Linie sind es Konzepte. Zuallererst muss der oder die Verantwortliche das Menschenbild haben, dass Menschen Spaß und Freude an der Arbeit haben. Ansonsten ist es nur Makulatur.“